Liebe Mitbewohner:innen!

Wer kennt Gernot Wagner? Der rastlose Amstettner mit mittlerweile amerikanischem Zungenschlag ist Klimaökonom und quasi unser Mann in New York. Er ist Professor an der New York University und Leiter des Harvard Geoengineering Research Programs. Geoengineering? Richtig. Das sind die, die sich fragen, wie es wäre, an der Klimaschraube zu drehen. Bisschen wärmer, bisschen kälter, wie hätten Sie es gerne? Jetzt nicht falsch verstehen, der Mann ist bei Sinnen. Was ihn antreibt, ist Neugier und Angst – und noch mehr Angst, nämlich davor, dass uns bald gar nichts anderes übrig bleibt – dass wir vielleicht bald an der Klimaschraube drehen MÜSSEN.

Ist Wagner in Österreich, ist die Hölle los. Als ich ihn für den Bank Austria Future Talk interviewte, hatte er davor und danach einen Pressetermin für sein neues Buch. Nach einem gemeinsamen Fernsehauftritt zum Thema Klimawandel hatte er es schon wieder eilig. Aber man nimmt bei Wagner, was man kriegen kann. Bei unseren Gesprächen abseits der Aufzeichnungen im Autobus, im Stadtpark und im Hangar war mehr als genug Aufregendes dabei. 

Wie dreht man an der Temperaturschraube? Die einfachste Methode ist „Budyko’s blanket“. Die Idee  der „Bettdecke“ geht auf den russischen Klimatologen Mikhail Budyko zurück. 1974 schlug er vor, die Temperatur der Erde über einen künstlichen Schleier an Sulfatteilchen in der Stratosphäre zu dimmen. So wie es Vulkane machen: Vulkane injizieren Staub in die Stratosphäre. Der Staub breitet sich über die ganze Erde aus, reflektiert die Sonne und drückt so die Temperatur nach unten. Der Effekt ist enorm: Gelänge es uns, die Sonne nur um 2% zu dimmen, würden wir das ganze fossile CO2 in der Luft kompensieren und das Klima würde wieder rau und kalt wie im 19. Jahrhundert. 8% weniger Sonne über 100 Jahre würde die Erde bis zum Äquator vereisen lassen und das Leben beenden.

Darf man sich damit spielen? Die Versuchung ist groß. Klimaschutz ist eine Mammutaufgabe. Die Umstellung dauert lange und ist mit enormen Kosten verbunden. SOLAR GEOENGINEERING dagegen sei „schnell, billig und alles andere als perfekt“, sagt Wagner. Die technische Entwicklung und der Betrieb einer Flugzeugflotte, die ohne Unterlass Schwefelteilchen in der Stratosphäre verteilt, wäre für die weltweite Staatengemeinschaft leistbar und die Wirkung sofort da. Die Risiken und die Ungewissheiten der Technologie seien aber enorm. Allein die „moralische Gefahr“ sei angsteinflößend: Mit der Stratosphärenflotte im Rücken packen wir das Problem nicht an der Wurzel. Wir sind also scheinbar nicht mehr gezwungen, etwas gegen den CO2-Austoß zu unternehmen. Wir könnten wie ein Drogenjunkie  in einer gefährlichen Abhängigkeit enden: Ohne Sulfat-Spritzen in die Stratosphäre würden wir innerhalb von einer Handvoll Jahren in eine Heißzeit stürzen. Nur eine von vielen Gefahren. 

Trotzdem, wenn wir so weitermachen, sei es keine Frage, „OB wir die Flotte brauchen, sondern WANN“, so Wagners Überzeugung. „Sind wir schon so erledigt, dass uns nur noch die Chemo retten kann oder tun es harmlosere Medikamente auch.“ Das wird die Frage sein.

Was also tun? Laut Wagner müssen wir forschen, damit wir mehr über Solar Geoengineering wissen, falls wir nicht um die gefürchtete Rosskur  herumkommen. Viel wichtiger ist ihm aber, dass wir es gar nicht so weit kommen lassen; dass wir wegkommen von der fossil betriebenen Wirtschaft. Und worin sieht da der Ökonom das beste Mittel? „CO2 muss einen Preis bekommen! In jedem erdenklichen Sinn. Das können Steuern sein oder auch Verbote.“ Was Wagner sagt, meint er ernst. Er ist auf seinen Reisen, wo es nur irgendwie geht, öffentlich unterwegs und zahlt nicht unbeträchtliche CO2-Kompensationszahlungen für seine Flüge in die Heimat.

Liebe Mitbewohner:innen, wer an diesem spannenden Thema interessiert ist – meine Buchempfehlung: „Geoengineering – The Gamble“, Gernot Wagner, Polity Press, 2021