Eines steht fest: Alle CO2-Quellen abdrehen, um das Klima zu retten, ist zu wenig – zusätzlich werden wir in Zukunft unseren CO2-Müll aktiv aus der Luft schaffen müssen. Dass uns ausgerechnet der „Klimasünder“ Beton dabei helfen kann, könnte ein Treppenwitz der Klimageschichte werden. Vom Saulus zum Paulus: Wie aus einer Quelle eine Senke werden könnte.

Liebe Mitbewohner:innen!

Um das Klimagas CO2 aktiv aus der Luft zu schaffen, haben wir zwei Möglichkeiten: Erstens, wir versuchen, mit komplizierten und energiefressenden Verfahren CO2 aus der Luft zu fangen und anschließend in alte Gas- und Öllagerstätten zu pressen. Mit dem Pferdefuß, dass wir diese Verfahren erst entwickeln, beziehungsweise in die richtige Größenordnung skalieren müssen. (Wir sprechen immerhin von mehreren Gigatonnen CO2 pro Jahr, die wir aus der Luft entsorgen werden müssen.) Oder, als zweite Möglichkeit: Wir lassen uns von der Natur unter die Arme greifen. Von Bäumen, Sträuchern, Hecken, Gräsern, Weizen, Mais, … – einfach von allem was wächst und gedeiht.

Das Prinzip

Wir lassen all diese Pflanzen Kohlendioxid (CO2) aus der Luft holen und den Kohlenstoff binden – und danach hindern wir den Kohlenstoff daran, wieder in die Luft zurück zu entweichen (spoiler alert: Indem wir Pflanzenkohle daraus machen). Im Prinzip so, wie vor Jahrmillionen aus urzeitlichen Wäldern Kohlelagerstätten wurden. Das ist keine Science-Fiction: Köhler, die aus Holz in ihren Kohlemeilern Holzkohle machen, beherrschen die Technik seit Jahrtausenden. Und wie die Köhler lassen wir die Pflanzen den schwierigen Anfang machen: Sie verwandeln Gas in Zucker – über die Photosynthese wird das gasförmige CO2 in festes C6H12O6 übergeführt.

Die Pflanzen machen den Anfang

Egal ob Blatt, Stängel oder Ast – in jeglicher Art Biomasse ist Kohlenstoff gespeichert, den die Pflanze vorher aus der Luft entnommen hat. Kohlenstoff, der zuvor in Verbindung mit Sauerstoff als Klimagas CO2 durch die Luft geschwirrt ist. Dieses Kohlendioxid ist für Pflanzen neben Wasser und Sonne ein unverzichtbares Grundnahrungsmittel, das sie für die Photosynthese brauchen. Nur so können sie wachsen und machen beispielsweise die berühmte CO2-Kurve vom Mauna Loa auf Hawaii zu einer Sägezahnkurve. Wenn im Frühling die Vegetation auf der Nordhalbkugel der Erde durchstartet, wachsen die Pflanzen auf Kosten des CO2 und fressen eine Delle in die Kurve. Im Herbst, wenn die Pflanzen wieder verrotten, kommt das Klimagas wieder zurück. So feilen die Pflanzen der Welt Jahr für Jahr einen Zahn in die insgesamt ansteigende CO2-Kurve.

Die berühmte Keeling Curve vom Mauna Loa in Hawaii ist gezackt wie ein Sägeblatt. Ab dem Frühling nehmen die Pflanzen CO2 zum Wachsen aus der Luft, im Herbst, wenn die Blätter verrotten, wird es wieder an die Atmosphäre abgegeben. Im Prinzip ein neutraler Kreislauf. Weil wir aber Öl, Gas und Kohle aus der Erdkruste verbrennen, ist der CO2-Gehalt in der Luft seit den 60er Jahren von 320 auf 420 ppm angestiegen. Das führt zum Klimawandel.

Jetzt sind wir an der Reihe – die Pyrolyse

Nachdem die Pflanzen den schwierigen Teil gemacht haben, nämlich den Kohlenstoff im CO2 zu binden, sind wir an der Reihe: Wir müssen den Kohlenstoff in der Biomasse in eine möglichst reine Form bringen, wie Graphit oder Diamant. Wir machen das mit Feuer, aber wichtig: Wir halten das Feuer klein, in dem wir es mit Sauerstoff unterversorgen und schwelen lassen. Die entstehende Hitze bricht die Moleküle auseinander und ein Teil des Kohlenstoffs verbindet sich – auf Grund des fehenden Sauerstoffs – zu Pflanzenkohle. Im Falle von Holz wird aus dem Schwelbrand Holzkohle, wie es die Köhler seit Jahrtausenden in ihren Meilern bewerkstelligen. Im Prinzip ist es, wie bei einem Streichholz: Was nach der „schlechten“ weil sauerstoffarmen Verbrennung vorne als Gerippe übrigbleibt, ist Holzkohle mit circa 50% reinem Kohlenstoff. Der Vorgang wird technisch Pyrolyse genannt und in modernen, technisch ausgefeilten Pyrolyseöfen kann die entstehende Holzkohle bis zu 90% aus reinem Kohlenstoff bestehen.

Das beim Abbrennen eines Streichholzes entstehende schwarze Gerippe ist zu circa 50% reiner Kohlenstoff. In einer Pyrolyseanlage ist bis zu 90% reiner Kohlenstoff machbar. Grafik aus: „Cool Down – Mit Pflanzenkohle die Klimakrise lösen?“, Albert Bates, Kathleen Draper, oekom

Um es ganz klar zu sagen

Natürlich wird bei dieser „schlampigen“ Verbrennung – der Pyrolyse – CO2 frei, wenn die flüchtigsten Kohlenstoffverbindungen in der Hitze vergasen und dabei zu Asche verbrannt werden. Bis hierher ist der Schwelbrand eine ganz normale Quelle für das Treibhausgas CO2. Für Teile des Kohlenstoffs ist allerdings zu wenig Sauserstoff da, um ihn zu Kohlendioxid zu verbrennen. So verbinden sich die Atome zu hochgradig reinem Kohlenstoff. Das ist die eigentliche Pyrolyse.

Unter dem Strich – und darum geht es – werden ca. 25% des Kohlenstoffs (der anfangs im Streichholz war) als Holzkohle gebunden. Wir haben der Atmosphäre also netto Kohlendioxid entzogen.

Pflanzenkohle – das neue schwarze Gold

Das geniale an Pflanzenkohle: Sie ist sehr stabil; inert, wie die Chemiker sagen. Bakterien können die Kohle nicht verdauen, weil sie es nicht schaffen, die miteinander verbundenen Kohlenstoffatome aufzubrechen und für sich nutzbar machen. Chemisch gesprochen, wollen sie sich die Kohlenstoffatome nur ungern mit anderen Reaktionspartnern austauschen. Damit sind an einem wichtigen Punkt angekommen: Wir haben aus dem flüchtigen Kohlenstoff im Klimagas CO2 eine feste stabile, und relativ reine Form von Kohlenstoff gemacht. Ist der Ausgangsstoff der Pyrolyse Holz, sprechen wir von Holzkohle. Ist es ganz generell Biomasse die „verkohlt“ wird, zum Beispiel Stroh, sprechen wir von Pflanzenkohle (Biochar).

Jetzt geht es richtig los. Die Verwendung dieser Pflanzenkohle wird gerade intensiv beforscht und es zeigen sich viele Möglichkeiten. Ein großes Thema ist dabei die Landwirtschaft. Pflanzenkohle wird zur Aufbesserung von Böden verwendet, wie es die Indianer mit Terra Preta am Amazonas jahrhundertelang gemacht haben. Das andere große Thema – und darum geht es hier – ist der Einsatz der Pflanzenkohle in der Bauwirtschaft.

Grüner Beton durch Pflanzenkohle

Wir befinden uns mitten in einem weltweiten Bauboom. Bis 2060 soll sich die Anzahl der Gebäude auf der Welt verdoppeln. Vor allem durch das prozessbedingte Brennen von Kalkstein (CaCO3 -> CaO + CO2) wird sehr viel CO2 frei. Pro Tonne Zement entstehen mehr als 500 kg vom Klimagas. Da 90% aller Bauten in Beton und Stahl aufgezogen werden, ist die Bauindustrie in Summe also eine gewaltige Quelle des Klimagases.

Um nun Beton klimaneutral oder sogar klimapositiv zu kriegen, mischt man in den Beton Pflanzenkohle als Zuschlagsstoff hinein oder noch besser: man ersetzt einen Teil des Zements durch Pflanzenkohle. Dadurch muss man nicht nur weniger Zement brennen, was schon mal CO2 spart. Zusätzlich – und das ist der größere Effekt – ist diese Pflanzenkohle noch ein Kohlenstoffspeicher mit dem CO2-Faktor drei: Für jedes Kilo im Beton gespeicherte Pflanzenkohle wurden ca. 3 Kilo CO2 aus der Luft genommen. Summiert man zu diesen beiden Effekten (Zementersatz und Speicherwirkung) noch die natürliche Rekarbonisierung des Betons, kann Beton sogar klimapositiv werden, also mehr Kohlenstoff speichern, als bei seiner Produktion freigesetzt wird.

Ein Stück Pflanzenkohle, erzeugt in einem Kon Tiki Ofen aus abgestorbenen Rebstöcken in einem niederösterreichischen Weinberg. Die Technik des „Köhlerns“, also die Herstellung von Holzkohle – das ist eben Pflanzenkohle aus Holz – ist Jahrtausende alt. Diese Technik wurde verfeinert und in modernen Pyrolyseöfen kann Pflanzenkohle mit bis zu 90% reinem Kohlenstoff erzeugt werden.

CO2-Bilanz von Beton bei Verwendung der zertifizierten Pflanzenkohle Clim@Add laut Angaben des Herstellers Syncraft: -25kg CO2eq pro m3 Einsparung durch 15% weniger Zement, -142,08 kg in der Pflanzenkohle, -32,59 kg durch Rekarbonisierung. Im Summe ergibt das: -32,96 kg gespeichertes CO2eg pro m3 Beton.

In der Praxis wird das schon umgesetzt, wie 2022 am neuen Technikgebäude der ÖBB in Bregenz/Vorarlberg: Der Fußabdruck von herkömmlichem Beton sind pro Kubikmeter 174 kg CO2eq. Bei der verarbeiteten Betonmenge von 109,7 m3, wären das bei normaler Produktion ca. 18 Tonnen CO2. Durch die Beimengung von Pflanzenkohle als Zuschlagsstoff konnten davon 8,58 Tonnen eingespart werden und dadurch wurden immerhin 47% der Menge des normalerweise in die Atmosphäre abgegebenen Treibhausgases vermieden. Ist man mutiger und ersetzt auch einen Teil des Zements durch Pflanzenkohle, könnte man auch noch die restlichen 53% einsparen.

Praxisbeispiel Technikgebäude der ÖBB, fertiggestellt 2022: Durch die Beimengung von Pflanzenkohle konnten 47% der CO2-Emissionen die normalerweise auftreten eingespart werden.

Beeindruckend ist der Speichereffekt am Beispiel einer Betonfertigteilstiege in Dornbirn, ebenfalls 2022 aufgestellt: 1,81 m3 Stiegen-Beton würden normalerweise die Atmosphäre mit 312 kg CO2 belasten. Durch die Beimengung von 108 kg Pflanzenkohle konnten 324 kg CO2eq gebunden werden. Das sind etwas mehr als 100% Einsparung und damit ist diese Stiege klimaneutral.

Praxisbeispiel Fertigteilstiege der Fa. Tobias Ilg in Dornbirn, fertiggestellt 2022: Durch die Beimengung von 108 kg Pflanzenkohle werden knapp mehr als 300 kg CO2eq gespeichert und die Stiege ist klimaneutral.

Klimapositiver Beton: Wie am Ende aus der Quelle eine Senke wird

Das Potential der Methode ist aber noch lange nicht ausgeschöpft. Die CO2-Quelle Beton soll nicht nur versiegen, sie soll sogar eine Senke werden, das ist die Vision. Je CO2 ärmer Zement in Zukunft gebrannt werden kann – und da gibt speziell von den Brennstoffen her noch Reserven – desto effektiver ist der Ersatz von Zement durch Pflanzenkohle. Bald wird die Speicherung von CO2 die Erzeugung weit übertreffen, dann wird mehr gespeichert als ausgestoßen wird –  das ist dann der grüne Speicher-Beton, der hilft, das Klima zu retten.

Zusammenfassend ist der Weg den wir gehen sollten vorgezeichnet: Wir erzeugen Pflanzenkohle beim Verbrennen von Abfallholz, Stroh und anderer Biomasse. Diese bringen wir in Beton ein und entsorgen so Gebäude für Gebäude unseren CO2-Müll aus der Atmosphäre. Von der Photosynthese über die Pyrolyse bis zur Betonerzeugung, alles ist bekannt und technisch umsetzbar – wir müssen den Weg nur gehen.

 Liebe Mitbewohner:innen, lasst uns das einfach tun!